
Es gilt das gesprochene Wort.
Liebe Genossinnen und Genossen,
im Namen des Vorstandes des SPD-Bezirks Hessen Nord begrüße ich Euch recht herzlich hier auf dem Sommerfest des SPD-Unterbezirks Werra-Meißner im schönen Waldkappeler Ortsteil Bischhausen.
Ich darf unseren Vorsitzenden Manfred Schaub entschuldigen, der es sehr bedauert, heute nicht hier sein zu können.
Stattdessen darf ich aus gutem Grund, einige Worte an Euch richten:
Wir feiern heute die Wiedergründung der SPD in Nordhessen vor 70 Jahren.
Ich möchte anlässlich dieses Jubiläums einen kleinen Rückblick machen:
Es war das Jahr 1945. Ostern war das Ende des Krieges auch in Nordhessen absehbar. Am 31. März erfolgte die Befreiung des Lagers Breitenau und kurze Zeit später erreichen die amerikanischen Truppen die weitgehend zerstörte Stadt Kassel.
Schon in den ersten Wochen nach der Befreiung bildeten sich im besetzten Kassel wieder neue politische Strukturen heraus. Innerhalb von vierzehn Tage war praktisch ein festes Fundament für die Nachkriegs-SPD gelegt.
Die offizielle Gründung oder Wiedergründung von Parteien war aber noch verboten.
Nach der Rückkehr des früheren Bezirkssekretärs Rudolf Freidhof aus dem KZ Sachsenhausen Rudolf Freidhof wurde später der erste Fraktionsvorsitzende der SPD-Landtagsfraktion wurden erste politische Forderungen im Rahmen des Wiederaufbaus an die Militärregierung gestellt:
1.Sicherung der Ernährung der Bevölkerung und der Volksgesundheit.
2.Regelung des Verkehrswesens.
3.Die Versorgung der Bevölkerung und der industriellen und handwerklichen Betriebe aller Art mit Kohlen.
4.Bewirtschaftung des vorhandenen Wohnraumes und Neuschaffung desselben.
5.Schaffung von Arbeitsmöglichkeiten und Organisation der Arbeitervermittlung.
Zusammen mit dem ehemaligen Parteisekretär Karl Hermann übernahm Freidhof zunächst auch den inoffiziellen Vorsitz der SPD in Kassel.
Erst Anfang September1945 erlaubte die amerikanische Militärregierung in Hessen die Gründung demokratischer Parteien.
Nach 12 Jahren Verbot und Verfolgung durch das NS-Regime konnte die SPD ihre politische Arbeit legal wieder aufzunehmen.
Der Antrag auf die Gründung einer sozialdemokratischen Partei in Kassel wurde am 13. Oktober 1945 bewilligt, so dass die Wiedergründung am 14. Oktober stattfinden konnte.
Aber auch in den anderen nordhessischen Regionen bildete sich die Partei neu, so mit der Wiedergründung des Ortsvereins Waldeck als erstem im damaligen Landkreis Waldeck im September und der Gründung des späteren Unterbezirks Kassel-Land im gleichen Monat.
Die Parteiorganisation wurde für den Bezirk aufgebaut. Am 1.Oktober1945 wurde Johannes Braunholz, der spätere Landrat von Eschwege, erster Bezirkssekretär nach dem Krieg.
Während des gesamten Gründungsprozesses hatten die nordhessischen Sozialdemokraten in einem überaus engen Kontakt mit dem Londoner Exilvorstand
der SPD gestanden. Insbesondere mit Hans Vogel, dem letzten Vorkriegsvorsitzenden der SPD.
Die Freude in London war groß, dass der Kern der Mitgliedschaft, soweit er die zwölf Jahre überlebt hat, unserer Sache treu geblieben ist und nur auf den Tag gewartet hatte, an dem die politischen Parteien wieder zugelassen werden, um die Organisation der Partei wieder auf die Beine zu stellen.
So nahmen die Nordhessen dann auch an der ersten SPD-Konferenz für die drei Besatzungszonen am 5.-7. Oktober 1945 im Kloster Wennigsen bei Hannover teil.
Die Nordhessen unterstützten damals die Linie von Kurt Schuhmacher, der bereits am 30.August 1945 in Kassel vor zahlreichen Menschen geredet und für seine Politik geworben hatte.
Dann galt es den Wiederaufbau auf der Landesebene zu gestalten. Unter den 1.000 Delegierten auf der ersten Landesparteigeneralversammlung am 9.Dezember 1945 in Frankfurt waren zahlreiche Sozialdemokraten aus Nordhessen, was unter den damaligen Verkehrsbedingungen sehr schwierig war.
Abgeschlossen wurde die Wiedergründung der SPD in Nordhessen, oder wie man damals sagte der SPD Nordhessen-Waldeck, mit dem ersten ordentlichen Bezirkstag am 17. März 1946 in Kassel.
Der politische Neuaufbau hatte erheblichen Mut abverlangt, denn den Anordnungen der Besatzungsmacht mussten dabei auch widersprochen werden.
Ein Beispiel:
Kurz vor Weihnachten 1945 erschien in der täglich erscheinenden Kasseler Lizenzzeitung Hessische Post‘ ein Artikel, der mehrere Fragen an die Militärregierung enthielt und unter anderem aufdeckte, das der von der Besatzungsmacht eingesetzte Landrat im Kreis Fritzlar mit einer NS-Vergangenheit belastet war.
Diese Anfragen trugen die Unterschrift von fünf politisch nicht belasteten Bürgern aus dem Kreis. Es handelte sich um Justus Färber aus Besse (heute ein Ortsteil von Edermünde), Konrad Freudenstein aus Obervorschütz (heute Gudensberg), Heinrich
Scherp aus Obermöllrich (heut Fritzlar), Adam Lipp aus Grifte (heute Edermünde) und August Franke aus Haldorf (ebenfalls heute Edermünde).
Lange und harte Verhöre mussten sich mein Vater und seine Parteifreunde gefallen lassen. Heinrich Scherp wurde als Bürgermeister von Obermöllrich des Amtes enthoben. Erst mit den ersten Kreistagswahlen im April 1946 konnte ein unbelasteter Landrat gewählt werden. Es war Georg Völker aus Verna (heute zu Frielendorf gehörend), der auch die Anordnung gegen Heinrich Scherp dann auch zurücknehmen konnte.
Mein Vater August wurde dann Bürgermeister und Landtagsabgeordneter und ab 1960 selber Landrat.
Liebe Genossinnen und Genossen,
heute ist die SPD mit rund 19.000 Mitgliedern die politische Kraft in Nordhessen.
Die SPD-Mitglieder im Bezirk Hessen-Nord sind in 8 Unterbezirken mit annähernd 600 Ortsvereinen organisiert, die den 7 nordhessischen Landkreisen und der Stadt Kassel entsprechen.
Namhafte Persönlichkeiten hatten den Vorsitz unseres Bezirks inne:
1946 1949 Christian Wittrock, der spätere Vizepräsident des Hessischen Landtages,
1950 1969 Ministerpräsident Georg-August Zinn,
1970 1974 Kassels Oberbürgermeister Karl Branner,
1975 1978 Holger Börner, SPD-Bundesgeschäftsführer dann Ministerpräsident,
1979 1986 Hans Krollmann, Hessischer Kultus- dann Finanzminister,
1987 1992 Herbert Günther, Hessischer Innenminister,
1993 2001 Udo Schlitzberger, Landrat des Landkreises Kassel und
seit 2001 Manfred Schaub, früher Landtagsabgeordneter im Hessischen Landtag und heutiger Bürgermeister der Stadt Baunatal sowie Mitglied des Bundesvorstandes der SPD.
Auch mein Vater August war bereits im Bezirksvorstand aktiv. Als stellvertretender Vorsitzender agierte er von 1969 bis 1971 als Stellvertreter von Georg-August Zinn und dann Karl Branner.
Liebe Genossinnen und Genossen,
Deutschland diskutiert damals über Vertriebene und Flüchtlinge und heute aktuell wieder.
Es wird oft vergessen, dass unser Land vor 70 Jahren schon einmal Ähnliches erlebt hatte. Damals mussten viele Deutsche ihre Heimat verlassen und als Vertriebene in der Fremde Schutz suchen.
Viele Deutsche kennen aus Erzählungen ihrer Eltern oder Großeltern, wie qualvoll für sie die Flucht aus den ehemaligen deutschen Gebieten im Osten war. Und dass sie sich in ihrer neuen Heimat für lange Zeit fremd gefühlt hatten.
Immer wieder taucht in diesen Berichten auf, dass sie am Ziel ihrer Flucht nach all den unmenschlichen Strapazen und Erniedrigungen alles andere als herzlich empfangen wurden.
Lasst uns auch im Gedenken an die Zeiten des Wiederaufbaus in den Nachkriegsjahren – Mitmenschlichkeit und Solidarität mit Flüchtlingen zeigen. Erheben wir weiter unsere Stimme gegen menschenverachtende Hetze.
Liebe Genossinnen und Genossen,
der Blick in unsere sozialdemokratische Geschichte zeigt, wo wir herkommen, hilft, unsere Identität herauszubilden und füllt uns auch mit Stolz.
Mit dem heutigen Sommerfest wollen wir das auch feiern.
Ich danke den Organisatoren im Unterbezirk und im Ortsverein für ihren Einsatz und ihr Engagement und wünsche uns einen schönen Verlauf des Festes.